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Liebe ist

Der Tag lachte nicht zum Fenster hinein, was auch immer die Sonne da draußen veranstaltete. Das Leben hatte sich in ein Irgendwas verändert. Über Nacht. Gerome dachte nach, und langsam kam die Erinnerung zurück an das Gestern, an diesen unseligen Moment da die ganze Welt auf ihn zu fallen drohte. Hitzige Worte, gesprochen um zu treffen, zerstörerisch, wild und ungezähmt ist es aus ihm heraus gebrochen. Er sah das Blut aus den Löchern ihrer Seele fließen, es tropfte in sein Herz, war süß gewürzt mit ihrem Schmerz. Sie hatte ihn hintergangen, wahrscheinlich sogar ausspioniert. War er denn so wichtig, dass man in seinen Sachen wühlen musste, in seinen Mailings herumstöberte um herauszufinden wer oder was er war, was er wollte und wie er lebte, mit wem er sich traf?! Ihr war er wichtig… aber er wollte ihr nicht wirklich wichtig sein.
Sie war wundervoll, eine Frau eben, und er hatte das Verlangen Sie zu lieben. Ein Gefühl das gefüllt sein wollte. Er fühlte sich sicherer wenn nur er liebte, ohne wiedergeliebt zu werden. Er traute der Liebe nicht mehr, niemandem mehr.

Er ließ seine Gedanken über die Tastatur seiner Schreibmaschine gleiten. Er war ein guter Redner, aber wenn er schrieb konnte er gar virtuos erscheinen. Er hasste seine Handschrift - banal, gewiss. Für ihn aber ein untragbarer Zustand. Was soll ich ihr schreiben, was soll ich revidieren oder verstärken, damit sie begreift wie ich ticke…?!
Er dachte kurz über sich selbst nach… Wie ticke ich denn nun eigentlich?!

Befand er sich in der Natur, hielt er Zwiegespräche mit der Landschaft in welcher er sich zu dem Zeitpunkt aufhielt, machte einen Baum oder ein am Himmel fliegenden Falken zum Freund, Feinde kannte er nicht. Er war direkt und authentisch, gesellig und liebte es trotzdem auch alleine zu sein, war vielseitig interessiert an allem was auch nur im Entferntesten mit Kunst zu tun hatte. Er liebte seine Familie und seine Freunde, kochte gerne vorrangig für andere, seine Einladungen zum Essen waren legendär. Ein Thema aber faszinierte ihn mehr als alles andere – die Liebe. Sie ist so vielfältig wie es Menschen auf dieser Welt gibt. Er hatte die Liebe zu seinem Thema gemacht, verankerte sie in Liebesgedichten. Diese richteten sich fast ausnahmslos nie an eine bestimmte Person sondern eher an die Vorstellung dessen wie er gerne lieben würde, wiedergeliebt werden wollte, wenn er denn nur wollte, DASS man ihn liebte.

. Ein nichts Gutes verheißendes Zischen und Brodeln riss ihn aus seinen Gedanken. Mist, diese Kaffeemaschine hatte ihre Tücken. Wenn man den Filter nicht richtig festzog, drückte sich eine braune, etwas zähe dampfende Flüssigkeit durch die Ritzen, spritzte fröhlich durch die Gegend und veranstaltete eine gemeine Sauerei.
Er rannte in die Küche und griff reflexartig zur Kaffeekanne. AUTSCH, scheiße ist das heiß. Er hielt sich die Finger an die Ohrläppchen, weil ihm irgendwer gesagt hatte es solle helfen. Es handelt sich bei seiner nicht um eine von den üblichen Kaffeemaschinen, nein, es war eine von diesen italienischen Espressomaschinen die man auf den Herd stellte und deren Wasserinhalt durch Erhitzung nach oben strömte, und so die Kraft aus dem Kaffepulver mitnahm. Irgendwie war der untere Teil in welchem sich das zu erhitzende Wasser befand zu voll aufgefüllt worden und das bewirkte, dass ein Teil des in Kaffee umgewandelten Gebräus den Deckel der Kanne hochdrückte um dann zischend auf der Herdplatte zu landen. Es roch unangenehm und dann erst die Sauerei, die durch verbrannten Kaffee auf Herdplatten entstand. Super, der Tag fing ja genauso gut an, wie der Gestrige aufgehört hatte.

Es klingelte an der Tür… mit dem feuchten Küchentuch in der Hand, welches er zum Aufwischen des Kaffees oder dem was davon übrig geblieben war benutzte, lief er durch die Küche in den Flur zur Haustür. Er drückte den Knopf der Sprechanlage:“Ja?! Wer ist da?!“ kam es barsch aus seinem Mund. Als ahnte er schon, wer denn da nun stören könnte.“Ich bin es.“ Erklang eine weibliche Stimme leicht verzerrt durch den Lautsprecher.
„Marie, ich habe keine Lust jetzt mit Dir zu reden, muss erst mal verdauen was da gestern Abend gelaufen ist,“ kam es gepresst aus seinem Mund.
„Willst Du mich wirklich hier vor der Tür stehenlassen?!“
„Nein, will ich nicht aber Du drückst mich gerade gegen die Wand. Hättest Du vorher angerufen, müssten wir uns jetzt nicht darüber unterhalten, ob ich Dich vor der Tür stehen lassen will.“ „Es regnet in Strömen und der Wind pfeift um die Ecken. Ich stehe hier einfach weil ich Dich sehe und mit Dir reden möchte. Ist das so abwegig, darf ich nicht so spontan sein?!“ „So spontan, wie Du in meinen Sachen gewühlt hast?!“ „Du erzählst kaum etwas von Dir, wir kennen uns jetzt schon seit ein paar Monaten und ich weiß eigentlich nichts von Dir. Ich habe übrigens nicht in Deinen Mails herumgestöbert. Du hattest vergessen, den PC auszuschalten und Dein Programm zu schließen. Als Du reinkamst, wollte ich nur in meinen Mails nachschauen und beim Hochfahren des Computers war dann auch deine Mailbox plötzlich auf dem Schirm. Ich vertraue Dir und würde das nie tun, Dir hinterher spionieren oder ähnliches. Lässt Du mich kurz herauf?! Bitte..!“
Er überlegte für einen Moment und drückte dann den Türöffner, kurze Zeit später stand sie in seinem Wohnungsflur, völlig durchnässt und frierend. Als er sie so dastehen sah, lief sie mit ihrem Gefühl direkt in ihn hinein, er fühlte sich entwaffnet und ließ auf einmal die Schultern hängen. Niemand läuft durch einen grauen Tag voller windgepeitschtem Regen, wenn er oder sie es nicht ernst meint. Niemand wird verletzen wollen oder nicht sorgsam mit des anderen Gefühlen und Gedanken umgehen, wenn er sich die Blöße gibt völlig durchnässt und unprätentiös daherzukommen… DAS ist Liebe. Diese Tatsache war ihm vollkommen bewusst. Was ist das bloß in seinem Kopf, dass er den Schalter nicht umzulegen vermochte?!

Er ging ins Bad und holte ihr ein Handtuch, damit sie sich abtrocknen konnte. Vor 14 Stunden wäre sie selber ins Bad gegangen, aber heute ist da so eine unsichtbare Barriere die es ihr irgendwie verbot dort hineinzugehen. Sie nahm das Handtuch und rubbelte erst einmal durch ihre Haare… Es war hell und kräftig und passte zu ihrer gesamten Erscheinung. Auch wenn sie sich nach dem Trocknen der Haare ein wenig besser fühlte, so war ihr doch zum Heulen zumute, aber das ließ sie sich nicht anmerken. Gut, dass es geregnet hat. Wen es sein musste, hatte sie eine Ausrede sollten ihr die Tränen kommen. Es war aber kaum davon auszugehen, dass er irgendetwas bemerkte, weil er zu sehr mit seinem Ich in seinem Kopf beschäftigt war. Ihre grüngrauen Augen verschwanden zudem meist unter einer ihrer nicht zu bändigenden Strähnen, die ihr immer wieder ins Gesicht vielen. Sie hatte eine Charakter- Nase mit einem winzigen Höcker der perfekt zu ihrem mit einem wundervollen Amorbogen versehenen Mund passte. Wenn Sie lächelte, sah man nur noch blitzweiße Zähne und unverschämt süße Lachgrübchen. Ihr schlanker Hals saß auf einem Paar hübscher Schultern, sie hatte wundervoll geformte Brüste, eine Taille nach der sich jede Frau sehnte und welche jeder Mann begehrte, einen genialen Po und Beine die nicht schöner hätten geformt sein können. Die Männer schauten ihr reihenweise hinterher, allerdings ohne dass sie es bemerkte. Und selbst wenn sie es bemerkt hätte, es wäre ihr egal gewesen, denn seitdem sie Gerome kannte, war sie durchtränkt von dem Gedanken an ihn. Sie schlief mit ihm ein, wachte mit ihm auf und nahm ihn in Gedanken überall mit hin. Und er, was tat er?!
Er sang…! Er sang vor sich hin… wie geht das?! Sie sitzt da und ihr ist nur zum Heulen zumute und er sang. Ein Lied von Edith Piaf. Seine Mutter war Französin, daher diese Affinität für französischen Chanson. “Padam, Padam, Padam,il arrive en courant deriere moi…“
„Hör bitte auf zu singen…” sagte sie unvermittelt. „Ich soll aufhören zu singen?!“Die Frage kam mit einem erstaunten Unterton aus seinem Mund gekrochen, so langsam sprach er auf einmal. Sie sagte kurz:„Ja.“ „Warum?!“kam es ebenso kurz zurück.„Weil Du dann so ganz und gar bei Dir bist…“ Ping… „Ja und?!“ Pong.
„Ich ertrage das nicht, denn dann bist noch viel weiter weg von mir und ich will meine Liebe zu Dir nicht teilen, nicht einmal mit Dir selbst…! So geht für mich Liebe nicht“. War er plötzlich langsam in seinen Erwiderungen, erinnerte sie dafür eher an ein Maschinengewehr. Er sah sie an und dachte nur:“ Hm, Überdruck. Wie meine Kaffeemaschine.“ Und laut sagte er dann:
„Doch so GEHT Liebe – nämlich FORT. Wenn Du so liebst, dann ist das ein Käfig in dem Du Dich befindest und für mich ist das eine Zeit ohne Flügel.“ Sie sah ihm direkt in die Augen:„Und nun?!“ Er hielt ihrem Blick stand und sagte:„Singe ich lieber – für mich…“
„Du verstehst mich nicht. Ich liebe es, wenn Du singst, nur jetzt im Moment nicht, weil ich Dich spüren will, weil ich will, dass Du ganz da bist! Sonst werden wir keine Lösung finden, denn ich alleine bekomme das nicht hin. Du musst DABEI sein.“

Gerome sah Marie an und wunderte sich über seine eigene Distanziertheit! Das, was sie von sich gegeben hatte klang plausibel und doch – er konnte einfach nicht auf sie zugehen und ihr sagen, dass er ihr alles glaubte. Er glaubte ihr das mit dem Computer und er glaubte ihr jetzt. Was bin ich nur für ein Schwachkopf, schoss es ihm durch den Kopf… Die Betonung lag da eher auf dem Begriff „schwach“.
Sie sahen sich eine Weile stumm an… keiner wollte diesen beinahe Waffenstillstand aufkündigen indem vielleicht verständliches missverstanden werden könnte. Es gibt Momente, da hält man einfach mal den Mund, weil aus dem Wort Liebe „Hiebe“ wird und aus dort „fort“, einfach weil man nicht bereit war das Richtige aufzunehmen…
Das Telefon klingelte. „Gott sei Dank“, dachten Beide gleichzeitig. Der Klingelton zerteilte die sie umgebende schwere Luft wie ein Peitschenhieb und gab ihnen Gelegenheit zum durchatmen. Gerome nahm den Hörer ab und auf einmal veränderte sich sein Gesicht. Plötzlich hatte sie das Gefühl ihr gegenüber stünde ein Raubtier. Sie sah, wie seine Nasenflügel bebten als würde er Witterung aufnehmen. Er verließ das Wohnzimmer und bewegte sich fast lautlos Richtung Schlafzimmer, er verschwand durch die Tür und schloss diese hinter sich. So hatte sie ihn in den Monaten die sie bisher mit ihm verbrachte, noch nicht erlebt.
Sie hörte seine Stimme durch die verschlossene Tür, sie erschien ihr gepresst, fast gehetzt und doch wurde alles von einer gewissen Entschlossenheit untermalt. Sie wartete, setzte sich auf die Couchlehne. Wieder das Gefühl, sich zurückhalten zu müssen. Es hätte nicht gepasst, wenn sie sich in die Couch gesetzt hätte, nicht heute. Was aber passte?!
Ihr Blick fiel auf den Monitor, der sich nicht verdunkelt hatte und unwillkürlich begann sie zu lesen… Die Zeilen waren an sie gerichtet, aber wollte er auch, dass sie diese bekommt. Sie hörte auf zu lesen und drehte sich vom Monitor weg und erschrak… fast lautlos war er zur Tür hereingekommen. „Du darfst das lesen, ich hätte es Dir sowieso irgendwann gegeben. Es spielt keine Rolle, ob Du es jetzt liest oder später.“ Sie schluckte und wunderte sich über sein ihr gegenüber total verändertes Verhalten. Die Art und Weise wie er zu ihr sprach, kannte sie so von ihm nicht. Es klang, ja wie klang es?! Es klang als hätte man ihn entwaffnet, resignierend und erleichtert zugleich, mit einem sanften und liebevollen Unterton. „Bist Du sicher?!“ fragte sie ihn. „Ja, ich bin mir sicher, ich lass Dich alleine und gehe in der Zwischenzeit in die Küche. Wenn Du fertig mit dem Lesen bist, entscheide Du ob Du bleiben oder gehen willst. Wenn Du gehst, verabschiede Dich nicht von mir. Bin nicht so gut im Abschied nehmen, okay?!“Seine Augen schimmerten ein wenig feucht, das konnte sie noch kurz erkennen, als er sich von ihr wegdrehte und der Schein der Deckenlampe sein Augen streifte. Was war denn das?! Was geht hier vor?!
Sie wusste plötzlich nicht mehr, ob sie seine Zeilen überhaupt lesen wollte, es schien ihr aber, dass es für Beide absolut notwendig und wichtig war, dass sie es tat. Nicht ganz ohne Angst, nahm sie auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch platz, nestelte noch ein paar Sekunden an ihren Fingerspitzen herum und gab sich dann einen Ruck.

„Marie… ich bin mir darüber im Klaren, dass Du nicht selten im Dunkeln tappst, was mich betrifft. Als wir uns kennenlernten habe ich Dir von vornherein gesagt, dass ich nicht viel über meine Vergangenheit erzählen werde und wenn, dann nicht sofort. Kann ich nicht, geht nicht. Lass mir Zeit, lass Dir Zeit und lerne mich so kennen wie Du mich im Alltag erlebst – so sagte ich zu Dir. Gestern Abend aber hat es mir das Herz zerrissen, als Du fortgegangen bist. Weil es nicht dein Problem sondern mein Problem ist, ich es aber zu deinem mache wenn ich Dich weiterhin so behandle. Kompliziert, nicht wahr?! Bin ich, ist aber keine Generalvollmacht um mich so benehmen zu können, wie es mir passt ohne dabei Rücksicht auf Dich nehmen zu müssen. Ich muss Dir einfach ein paar Dinge aus meinem Leben erzählen. Danach darfst Du entscheiden, wie es mich betreffend für Dich weitergehen soll. Vielleicht kannst Du nicht mit dem Leben, was Du gleich zu lesen bekommst, wenn Du hier weiter liest.